Von inseln und gefässen (Einführende Worte zur ausstellung mit adrian knüsel, bluepoint gallery)
Im Gegensatz zu kreativer Musik lenken mich gesprochene Texte ab denen ich während meiner bildnerischen Tätigkeit zuhören muss - Worte stören mich. Gelingt es mir jedoch, die anfänglich wagen Bildvorstellungen herausschälend, verdichtend zu materialisieren, wird es mir in einer späteren Phase möglich, über einige Ausgangspunkte oder gedankliche Querverbindungen zu sprechen.
So kann ich Ihnen, geschätzte Anwesende, wenige Anknüpfungspunkte mit auf den Rundgang geben, was aber nicht heisst, so und nicht anders müssen Sie Adrian Knüsels Plastiken oder meine Bilder sehen - zumal bildnerische Produkte sich nur annähernd in Worte fassen lassen, in ihren eigengesetzlichen Ausdrucksmöglichkeiten und Logik eher dem von Lévi-Strauss formulierten pensée sauvage entsprechen. Rezeption ist ein kreativer Akt und so werden Sie eigene Verbindungen zwischen den Werken oder zwischen den Werken und Ihnen finden, so dass vielleicht eine Kommunikation zustande kommt, die jedoch nur mit wenigen, bewusst gewählten Ausnahmen (Bildtitel, verbale Texte im Bild), über einschränkende Kanäle verbaler Konventionen fliessen dürfte. Malen ist für mich ein Prozess, bei dem häufig Zeit und Raum verschwinden, Spiel und Experiment, Versinken und Auftauchen, bei dem Erlebnisse eidetisch nachempfunden und in bildnerische Produktion umgesetzt werden können. Ein Beispiel: Nach langen vergeblichen Versuchen - angeregt durch Adrian Knüsel - einen auf der Töpferscheibe rotierenden, wild um sich schlagenden Klumpen Ton ruhig zwischen meinen Händen zu zentrieren, kam nach mehreren Stunden des frustrierenden Ringens plötzlich der Moment, wo meine Kräfte und jene der sich drehenden Masse völlig eins waren. Dieses nicht in Worte zu fassende, glückliche Erlebnis, habe ich bei Bild 4,5 u.6 wieder aufsteigen lassen und versucht einen adäquaten bildnerischen Ausdruck zu schaffen. Malen heisst für mich Zeichen finden und sie im Gefäss des Zeichenrepertoirs sammeln. Die durch viele mögliche Permutationen entstehenden neuen Anordnungen der Zeichen verändert deren Kräfte und ihr Potential - einem Schachspiel vergleichbar, bei dem jeder neue Zug den ganzen Kontext verschiebt. Malen ist für mich jedoch auch Innehalten und Nachdenken über die Spielsituation im Bild und über den Bildrand hinaus, über meine Situation, über zwischenmenschliche Beziehungen, gesellschaftliche Prozesse, das Nachdenken über altes kollektives Gedankengut, nicht um Mythen zu zementieren, sondern sie im jetzigen Licht zu befragen. Als mich Adrian Knüsel für diese gemeinsame Ausstellung anfragte, hatte ich meine 39. grosse "LENDH-SKAB" (Landschaft) eingerollt und arbeitete ziemlich isoliert an einer Serie von kleineren Inselbildern: einerseits Gedanken- und Vorstellungsinseln, die aus dem Nebelmeer meiner Erinnerungen an durchlebte Situationen ganz klar herausragten, anderseits Inseln als geographisch festgelegte Orte, die ich besucht habe. Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem ich zu näheren Besprechungen in Adrians Atelier fuhr, unterbrach ich kurz meine Arbeit an den Kreta-Bildern. Seit längerer Zeit beschäftigten mich die Mythen um Apollo und Daphne, von Pasiphae und Glaukos, sein Tod im Gefäss und seine Wiederbelebung durch die heilenden Blätter - Plots, die auch im Gilgamesch Epos oder Märchen aus andern Kulturkreisen zu finden sind. Das Lorbeerblatt, bei orgiastischen Kultusmysterien von den Mänaden zur Erzeugung von Rauschzuständen gekaut, stand als Form und Bedeutungsträger im Mittelpunkt meiner bildnerischen Untersuchungen. Ich betrat also gegen Abend Adrians Atelier - kannte seine neuen Arbeiten noch nicht - da standen die Gefässe, die Sie hier in den Holzrahmen oder auf dem Boden stehend sehen, dicht aneinandergereiht auf dem Tisch, Spitzen auf Augenhöhe, mir bedrohlich gegenüber. In meinen Notizen vom selben Abend steht - In Wiederholung im Halbdunkel der Werkstatt, präzis abgedrehte Körper, eisige Kälte, in Reih und Glied aufgestellt, erinnern sie an industrielle Produktion, an die Härte von Stahl, an todbringende Granaten - ein Waffenarsenal, als ob sie mehr fürs Fliegen und Einrammen, als fürs Stehen konzipiert seien. |
.... Muss ein Gefäss stehen? Auch die Amphora wurde in sandigen Boden eingesteckt... Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Adrians Form ist für mich das um die Mittelachse rotierte Lorbeerblatt, die Mandorla, Daphoine „die Blutige“, die sich auf unblutige Weise den Nachstellungen des Apollon im Lorbeer entzieht. Aphanes, Fade out.
Das sich Entziehen der Daphne ist für mich auch Metapher für die Trennung vom Aussen zum Innen, die Abspaltung des Geistigen vom Leiblichen. Der Stuhl als Gefäss - Das Gefäss als Stuhl : Obwohl wir heute mittels Rädern, Flügeln oder Internetsystemen scheinbar über die ganze Welt nomadisieren, hat unser Leib sich immer mehr im Stuhl gesetzt. Der Stuhl - auch wenn er sich als Auto- oder Flugzeugsitz beschleunigt - umklammert, umfasst unsern Körper wie das Gefäss den toten Glaukos. Mit Daphne entziehen wir unsern müde gewordenen Leib der sinnlichen physischen Welt, setzen ihn zuhause zunehmend ins bequeme Fauteuilgefäss und fixieren den Raumöffner, der zwar nicht kreisrund aber im Format 16:9 unsern Geist in den digitalen, fiktionalen Cyberspace entführt. Auch wenn man bei Gefässen wie sie hier stehen von angewandter Kunst spricht, d.h. auch für den Gebrauch bestimmt, hat Adrian Knüsel mit ihnen einen starken Ausdruck, eine Zeichensprache entwickelt, die für mich von derselben Trennungslinie zwischen Geist und Materie spricht. Stehen seine früheren Gefässe wuchtig und schwer, Materie repräsentierend, weit geöffnet, dem Aufbewahren mehr spendend, als bergend dienend, noch fest auf dem Boden, so scheinen die neuesten Arbeiten im labilen Gleichgewicht zu sein. Wie die neuen Arbeiten, die hier teilweise als Einzelstücke in Holzzargen ausgestellt sind, verwandeln sie sich zu fragilen, sich zurückziehenden Blättern, die von jedem Windstoss fortgetragen werden könnten. Weiter hinten im dichten Gedränge, am Boden aufgestellt, könnten sie bedrohliche Produkte einer Waffenschmiede assoziieren. Der Schnittstelle zwischen Aussen und Innen misst Adrian Knüsel grosse Bedeutung zu. Durch Schleifen und Polieren treten faszinierende Materialstrukturen zum Vorschein und scheinen die schwere Materie der Gefässhülle nahezu aufzulösen. Weil meine „Scraped landscape" (Lend Skab) - Bilder durch das Spachteln und Abschaben eine ähnliche Oberflächenbeschaffenheit vermitteln, dachte Adrian zu Beginn unseres gemeinsamen Projekts diese zusammen mit seinen Gefässen zu zeigen. Wegen der Umstrukturierung der Galerie und der Grösse der Bilder mussten wir jedoch umdenken. Die Schabtechnik habe ich seinerzeit gewählt um den gewaltsamen Eingriff des Menschen in die gewachsene Natur sichtbar zu machen, der im Begriff „Land-Schaft“ steckt. Etymologisch führt das Wort Schaft zu Skapos - der geschälte Zweig - aber auch zu skaph: das Gehöhlte, das Gefäss. Hier berühren sich unsere Arbeiten erneut. Zum Schluss möchte ich Frau Marbacher und Adrian Knüsel herzlich danken, dass sie mich aus meiner Inselwelt aufgeschreckt haben und Ihnen, liebe Gäste, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren. Adligenswil, den 2.Nov.95, Hans Glanzmann |